Wehrmachtsausstellung
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Die erste Wanderausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944“ wurde vom Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS) realisiert und war durch den Tabakerben Jan Philipp Reemtsma (welcher auch das HIS privat finanziert) in Auftrag gegeben worden. Die Ausstellung war von 1995 bis 1999 in insgesamt 33 deutschen und österreichischen Städten zu sehen. Sie löste eine große Kontroverse aus. Denn sie zielte auf die Richtigstellung von Tatsachen rund um die Erinnerung an die vermeintlich „saubere Wehrmacht” ab.

Die Ausstellung bestand aus Schautafeln, diversen Dokumenten und ca. 1.400 Fotografien, welche die Mitwirkung der Wehrmacht am nationalsozialistischen Vernichtungskrieg in Osteuropa dokumentierten. Anhand der zahlreichen Dokumente konnte belegt werden, wie die Wehrmacht einen rassenideologisch motivierten Vernichtungskrieg führte, dem Millionen von Menschen zum Opfer fielen. Das von den Nationalsozialisten ausgerufene Ziel einer„Schaffung von Lebensraum im Osten” hatte die Ermordung, Verschleppung und Zwangsarbeit von Millionen von osteuropäisch-jüdischen und slawischen Menschen zur Folge. In der bundesdeutschen Gesellschaft wird erst seit Mitte der 1990er Jahre und nur langsam mit allen Konsequenzen anerkannt, dass die Soldaten der Wehrmacht nicht nur Teil eines verbrecherischen Systems, sondern vor allem in hohem Maße direkt an Verbrechen beteiligt waren.
Eine der zentralen Aspekte der Ausstellung war es, die Besucher*innen weniger mit Texten als mit einer Vielzahl von Bildern zu konfrontieren. Diese Bilder wurden größtenteils von Angehörigen der Wehrmacht selbst aufgenommen und nach Hause verschickt oder mitgebracht. Nach dem Krieg wurden sie meistens weggelegt oder verschlossen und versteckt und damit auch gesamtgesellschaftlich vergessen.
Nach vier Jahren der Wanderschaft durch 34 Städte mit insgesamt gut 900.000 Besucher*innen zog das HIS die erste Iteration der Wanderausstellung 1999 zurück. Grund dafür war der Vorwurf an die Ausstellungsmacher, dass auf einigen der gezeigten Bilder Verbrechen des sowjetischen Volkskommissariats für innere Angelegenheiten (NKWD) zu sehen waren, und nicht Verbrechen der Deutschen Wehrmacht. Reemtsma ließ daraufhin die Ausstellungskonzeption von einer achtköpfigen Kommission bestehend aus Militär- und NS-Historiker*innen, Ausstellungsfachleuten sowie Archiv- und Fotoexpert*innen untersuchen. Am 27. November 2001 wurde die zweite, überarbeitete Variante der Wanderausstellung in Berlin eröffnet, welche zwar mit weniger Bildern realisiert wurde, aber in der Aussage unverändert blieb.
Ausstellungsvarianten in Österreich stellten die Selbstwahrnehmung Österreichs, ein Opfer des Nationalsozialismus gewesen zu sein, auf die Probe. Von den 19 Millionen Wehrmachtsangehörigen stammten 1,3 Millionen aus Österreich. Das waren 38 Prozent der gesamten männlichen Bevölkerung des Landes.
Die Wehrmachtsausstellung, insbesondere in ihrer ersten Fassung, hat nicht nur zur Akzeptanz einer neuen, kritischen Sicht auf die Rolle der Wehrmacht im nationalsozialistischen Vernichtungskrieg geführt, sondern vor allem das interfamiliäre Schweigen über die Rolle von Eltern, Großeltern und sonstigen Familienangehörigen im Zweiten Weltkrieg gebrochen. Auf der Seite von Kriegsteilnehmer*innen sowie deren Kindern und Enkeln löste dies Betroffenheit aus, mit der sich in den meisten Fällen kaum ein Umgang finden ließ und lässt. Auslöser derartiger Prozesse waren die in der Ausstellung gezeigten Fotos, die Wehrmachtssoldaten eindeutig als Akteure oder Zuschauer unmenschlicher und verbrecherischer Handlungen identifizieren. Die Tatsache, dass solche Gewaltfotos von Wehrmachtsangehörigen selbst aufgenommen und häufig auch vervielfältigt und verbreitet worden sind, wirkte dabei besonders schockierend. Damit wurde die Ausstellung zu einer Gegenerzählung zur weit verbreiteten Annahme, dass die eigenen Eltern, Großeltern oder Familienangehörigen nicht am Nationalsozialismus beteiligt gewesen wären. Zugleich hat diese Auseinandersetzung mit der deutschen Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg wiederum zu Schuld- und Schamgefühlen geführt, die Kompensationseffekte ausgelöst haben und diese weiterhin auslösen.
Am 1. März 1997 demonstrierten 5.000 Neonazis, mobilisiert von der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) und den Jungen Nationalisten (JN), in der Münchner Innenstadt gegen die Eröffnung der Ausstellung. Dies war eine der größten rechtsextremen Demonstrationen seit 1945 in Deutschland. An den meisten Ausstellungsorten in Österreich waren ebenso radikale Ausstellungsgegner*innen anwesend. Der CSU-Vorsitzende Peter Gauweiler hatte Jan Philipp Reemtsma empfohlen, dieser solle besser eine Ausstellung über die Toten und Verletzten der Tabakindustrie machen als über die Verbrechen der deutschen Wehrmacht. Auf die erste Wehrmachtsausstellung wurde im März 1999 in Saarbrücken ein Bombenattentat verübt. Vermutet wird, dass die rechtsextremistische Gruppierung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) hierfür verantwortlich ist. Diese hat später zahlreiche Morde an deutsch-migrantischen Menschen verübt.