Scherbenberge sind künstlich aufgeschüttete Hügelmassen, die mit der Zeit als natürliche Landschaften gelten. Oft bestehen sie aus Trümmern, die auf Kriegsgewalt oder ethnische Säuberungen zurückgehen. Im Laufe der Zeit wird diese Vorgeschichte vergessen – und es entstehen scheinbar normale Hügel, die sich natürlich in die Landschaft einfügen. Diese Website erforscht die Scherbenberge, die unseren Sprachgebrauch beeinflussen, wenn es um die Geschichte Palästinas, Deutschlands und Israels geht.
Begriffe
Kurzfassung—Antideutsch
Der Begriff Antideutsch ist die Selbstbezeichnung einer ursprünglich radikalen Gruppierung innerhalb der deutschen Linken. Der Begriff beschreibt weiterhin bestimmte Aussagen und politische Positionen, die sich inzwischen in der liberalen Mitte deutscher Politik und Gesellschaft durchgesetzt haben. Dazu zählt, jegliche Kritik an Israel als antisemitisch zu deklarieren und Kontroll- sowie Strafmechanismen gegenüber Personen auszuüben, die sich kritisch äußern. Dies kann sich für Betroffene in Ausladungen von Vorträgen, Veranstaltungsabsagen oder sogar dem Verlust des Arbeitsplatzes zeigen.
Kurzfassung—Antisemitismus
Der Begriff Antisemitismus beschreibt Feindseligkeit, Diskriminierung, Vorurteile und Gewalt gegenüber Jüd*innen als solche. Antisemitische Rhetorik und Handlungen machen Jüd*innen kollektiv für gesellschaftliche Missstände oder vermeintliche Übel in der Welt verantwortlich, was zu Ausgrenzung, Verfolgung und Gewalt führt. Dennoch kann es schwierig sein, eine formale Definition von Antisemitismus festzulegen, da sich antisemitische Vorstellungen und Bilder fortlaufend ändern und in lokalen und nationalen Kontexten unterschiedlich funktionieren.
Kurzfassung—Antizionismus
Antizionismus ist ein Oberbegriff für verschiedene heterogene Bewegungen, die den Zionismus kritisieren bzw. ablehnen. Antizionismus als politische Bewegung entstand im 19. Jahrhundert in Reaktion auf den aufkommenden Zionismus, Unterstützung fand die Bewegung sowohl unter gläubigen als auch unter säkularen Jüd*innen in Jerusalem, den USA, in Europa und Russland. Gegner*innen des politischen Antizionismus versuchten von Beginn an, entsprechende Initiativen als antisemitisch zu diffamieren. Durch die denunziatorische Behauptung, eine antizionistische Haltung sei immer auch antisemitisch, sollen antizionistische Initiativen verunmöglicht werden – mit dem Ziel, die Kritik am politischen Zionismus als koloniale Bewegung zum Verstummen zu bringen, und damit zugleich die Kritik am Staat Israel zu unterbinden.
Kurzfassung—Boycott, Divestment and Sanctions
Die 2005 gegründete BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions Movement against Israel) fordert den Boykott israelischer Produkte, die Streichung aller Investitionen in israelische Firmen und den Ausschluss Israels aus internationalen Foren. Ihre Ziele sind das Ende der militärischen Besatzung, das Recht auf die Rückkehr der aus dem heutigen Israel vertriebenen palästinensischen Flüchtlinge und die rechtliche Gleichstellung aller Bewohner*innen des durch Israel kontrollierten Territoriums.
Kurzfassung—Die Osloer Verträge I und II
Im Oktober 1991 luden die USA und die Sowjetunion Jordanien, Israel, Syrien, den Libanon sowie eine palästinensische Delegation aus Gaza und dem Westjordanland zur Konferenz in Madrid ein, um Gespräche über einen israelisch-palästinensischen Friedensprozess zu führen. Palästinensische Vertreter wie Faisal Husseini, Hanan Ashrawi und Haidar Abdel Schafi spielten dabei eine wichtige Rolle, obwohl sie formell der jordanischen Delegation untergeordnet waren.
Parallel dazu begannen Israel und die PLO in Schweden im Januar 1993 geheime Verhandlungen, die im Mai 1993 konkreter wurden. Diese Gespräche führten am 20. August 1993 zur Unterzeichnung der „Declaration of Principles on Self-Government Arrangements“ (DOP). Das Abkommen sah unter anderem den israelischen Rückzug aus Teilen des Gazastreifens und aus Jericho sowie die Durchführung demokratischer Wahlen zur Schaffung einer palästinensischen Regierung vor. Umstrittene Fragen rund um den Status Jerusalems, die Siedlungen und Grenzziehung wurden für spätere Verhandlungen aufgeschoben – ein Punkt der von vielen palästinensischen Intellektuellen wie Edward Said oder Hanan Ashrawi kritisiert wurden. Am 13. September 1993 wurde das DOP offiziell im Weißen Haus unterzeichnet.
Kurzfassung—Einstaatenlösung
Unter einer «Einstaatenlösung» verstehen wir die Schaffung eines demokratischen Staates, der Israel, das Westjordanland, Ostjerusalem und Gaza umfasst. Dieser Staat beruht auf dem Prinzip der Gleichberechtigung aller Bürger*innen, unabhängig von der ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit.
Kurzfassung—Genozid
Israel steht aktuell im Verdacht, gegen die UN-Völkermordkonvention verstoßen zu haben. Grund dafür ist die eskalierte Militäraktion im Gazastreifen in Reaktion auf den Hamas-Angriff vom Oktober 2023. Der Vorwurf lautet, Israel begehe einen Völkermord an den Palästinensern. Die folgende Analyse beleuchtet die rechtlichen, Dimensionen des Konflikts und hinterfragt die Zurückhaltung Deutschlands angesichts seiner besonderen Verantwortung gegenüber Israel.
Kurzfassung—Intifada
Das arabische Wort „Intifada“ bedeutet wörtlich übersetzt „Abschütteln“. Im palästinensischen Kontext bezeichnet die Intifada den Aufstand gegen die israelische Besatzungspolitik zwischen 1987 und 1993, der als Reaktion auf die schlechten Lebensbedingungen der Palästinenser unter 20 Jahren israelischer Herrschaft erfolgte. Anders als in deutschen Medien häufig dargestellt, handelte es sich dabei nicht um einen bewaffneten Kampf oder um einen Aufstand aus antisemitischen Motiven, sondern um eine Bewegung, die zum zivilen Ungehorsam gegenüber der Besatzungsmacht aufrief. Seit 1967 unterlagen die Palästinenser*innen einer israelischen Militär-Zivilverwaltung, die jegliche Möglichkeit der souveränen Selbstbestimmung unterband.
Kurzfassung—Kufiya
Die Kufiya ist ein quadratisches Tuch, das hauptsächlich als Kopfbedeckung in Südwestasien und Nordafrika getragen wird. Das Wort Kufiya bedeutet „stammt aus Kufa”, einer Stadt im heutigen Irak, die zur Zeit des Abbasiden-Reichs ein wichtiges Textilzentrum war. Die Kufiya wird traditionell aus Baumwolle hergestellt und häufig in den Farbkombinationen Schwarz-Weiß oder Rot-Weiß getragen.
In deutschen Medien wird die Kufiya – wie viele andere Symbole, die für die Solidarität mit dem Befreiungskampf der Palästinenser*innen stehen – oft als antisemitisches Hasssymbol stigmatisiert. Seit dem 7. Oktober ist das Tragen der Kufiya im globalen Norden vermehrt mit dem Risiko verbunden, Opfer rassistischer Angriffe, von Polizeigewalt, staatlicher Unterdrückung und Zensur zu werden.
Kurzfassung—Meinungsfreiheit
Der Konflikt Israel/Palästina ist (auch) ein globaler, diskursiver Konflikt zwischen vielen unterschiedlichen Meinungen. Meinungen über die historischen Ursachen des Konflikts – und die damit zusammenhängenden heutigen Verantwortlichkeiten und Positionen diverser politischer Akteure. Meinungen über Proteststrategien (wie derjenigen der BDS-Bewegung) als auch über die zukünftige politische Gestaltung der Region “from the river to the sea”. Meinungen über die Sprache und die Begriffe die im Diskurs zu verwenden oder zu vermeiden sind, so wie eben auch über die Formulierung “from the river to the sea” selbst.
Die Verwendung des palästinensischen Slogans “from the river to the sea, Palestine will be free” ist seit dem 2. November 2023 in Deutschland verboten. Es stellt sich allerdings die Frage, ob dieses Verbot nicht als eine Verletzung des Grundrechts der Meinungsfreiheit gewertet werden sollte. Mit dieser Frage haben sich mittlerweile deutsche Verwaltungsgerichte und Oberverwaltungsgerichte befasst. Die Meinungsfreiheit ist keineswegs absolut, jedoch dürfen Parolen nicht voreilig verboten werden, nur weil neben einer nicht-strafbaren Interpretation auch eine strafbare Deutung dieser Parolen möglich ist.
Kurzfassung—Nakba
Nakba (arabisch: النكبة) bezeichnet die katastrophalen Folgen der Massenvertreibung der Palästinenser*innen in den Jahren 1947 bis 1949, dem palästinensischen Exodus, bei dem 85 Prozent der palästinensischen Bevölkerung innerhalb des proklamierten Staatsgebietes Israels floh oder aus diesem vertrieben wurde. Die Nakba hat sich tief in das kollektive Gedächtnis der Palästinenser*innen eingeschrieben und steht bis heute als Symbol für ihre fortwährende Staatenlosigkeit.
Kurzfassung—Philosemitismus
Philosemitismus bezeichnet eine wohlgesinnte Haltung von nicht-jüdischen Menschen gegenüber Jüd*innen und jüdischer Kultur. Philosemitismus kann viele Formen annehmen und sich je nach zugrundeliegender Motivation auf unterschiedliche jüdische Gruppierungen richten. In besonders ausgeprägter Form werden dabei Vorurteile bedient und verschärft, was Jüd*innen in ihrer Selbstbestimmung einschränken und sogar paradoxerweise antisemitische Züge annehmen kann.
Kurzfassung—Wehrhafte Demokratie
Wann und warum geraten Demokratien in Gefahr? Und was heißt es, „die Demokratie“ vor ihren Feinden zu schützen? Die Gewalt und die Zerstörung in Israel-Palästina sind auch Ausdruck bestimmter Begriffe von Demokratie und deren Zwecken (und der Mittel, diese zu erreichen). Israels Kriege und sein Besatzungsregime werden unter anderem mit dem Argument gerechtfertigt, dass Israel auf diese Weise nicht nur seine Existenz, sondern auch seine Demokratie verteidige. Was aber charakterisiert das Selbstverständnis dieser auf dem Prinzip der „Selbstverteidigung“ beruhenden Demokratie? Der Text beginnt im Deutschland der Weimarer Republik und folgt der Spur des Konzepts der „wehrhaften Demokratie“ bis in das Israel-Palästina der Gegenwart. In der Realität der ethnischen Demokratie, die Israel seit 1948 errichtet hat, spiegelt sich dies in ungleichen politischen Teilhabemöglichkeiten palästinensischer Israelis und dem konstitutionell begründeten Ausschluss von „Nicht-Staatsbürger*innen“ in den besetzten Gebieten wie im „eigentlichen Israel“.
Kurzfassung—Wehrmachtsausstellung
Die Wehrmachtsausstellung war eine Ausstellungsreihe in den 1990er Jahren, organisiert vom Hamburger Institut für Sozialforschung. Die Ausstellung hatte sich das Ziel gesetzt die schweren Verbrechen der deutschen Wehrmacht aufzudecken, welche zuvor von der deutschen Bevölkerung verdrängt wurden und nicht anerkannt waren. Die Ausstellung löste zahlreiche Schuldkomplexe und Kompensationseffekte aus.
Kurzfassung—Wiedervereinigung
Die Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1990 führte in Israel zu kontroversen Reaktionen. Die BRD und die DDR hatten konträre Haltungen zum Nahostkonflikt: Während die Bundesrepublik in enger Verbundenheit zu Israel unterstützte die DDR offen die palästinensische Seite und pflegte Beziehungen zur PLO. Diese unterschiedlichen Positionen weckten in Israel die Sorge, dass die Wiedervereinigung zu einem zu einer Schwächung der bis dahin stabilen Beziehungen zur BRD führen könnte. Diese Bedenken waren nicht nur politischer Natur – es wurde befürchtet, dass die historische Verantwortung gegenüber den Opfern des Holocaust im vereinten Deutschland ihren Platz verlieren könnte. Das Bild der „sechs Millionen Gründe gegen die Wiedervereinigung“ in der israelischen Presse spiegelte die kollektiven Befürchtungen wider, dass die Schrecken der Vergangenheit hinter den politischen Ereignissen der Gegenwart verblassen könnten.
Kurzfassung—Zionismus
Zionismen sind politische Bewegungen und Philosophien, die alle im Kern an einen Anspruch auf einen ethnisch-jüdischen Nationalstaat im Land Palästina glauben, das derzeit größtenteils vom modernen, 1948 gegründeten Staat Israel besetzt ist. Der Zionismus entwickelte sich im Laufe des späten 19. bis 21. Jahrhunderts aus einer Reaktion auf den europäischen Antisemitismus und wurde zu einer hauptsächlich säkularen politischen Philosophie. Die Bindung an diese Philosophie prägt einen Großteil der politischen, juristischen und militärischen Politik des Staates Israel als einen expansionistischen, ethnisch-religiösen Staat. Vor allem aber bildet der Zionismus den Rahmen für Israels ‚Existenzrecht‘, das vor allem von westlichen Regierungen politisch, finanziell und militärisch unterstützt wird.
Kurzfassung—Zweistaatenlösung
Die Zweistaatenlösung sieht die Schaffung eines unabhängigen Staates Palästina und eines unabhängigen jüdischen Staats Israel vor. Der am meisten diskutierte Vorschlag sieht die Gründung eines palästinensischen Staates im Gazastreifen, im Westjordanland und in Ostjerusalem vor, während der Staat Israel das Gebiet an der Grenze zu den Nachbarstaaten Ägypten, Jordanien, Syrien und Libanon umfassen würde. Von 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen haben 146 bislang den Staat Palästina als unabhängigen Staat anerkannt. Die Zweistaatenlösung ist nach Ansicht vieler Vertreter*innen von Staaten, die nicht direkt in den Konflikt verwickelt sind, ein sinnvoller Kompromiss, der zu einer friedlichen Koexistenz der beiden Bevölkerungsgruppen führen kann.