Einstaatenlösung
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Unter einer «Einstaatenlösung» verstehen wir die Schaffung eines demokratischen Staates, der Israel, das Westjordanland, Ostjerusalem und Gaza umfasst. Dieser Staat beruht auf dem Prinzip der Gleichberechtigung aller Bürger*innen, unabhängig von der ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit. Bis vor einiger Zeit war dieses Modell unter Palästinenser*innen, wie auch unter progressiven Israelis die salonfähige Idee schlechthin. Am 10. Januar 1999 veröffentlichte Edward Said einen Artikel namens „One State Solution“ in der NY Times:
Ich sehe keinen anderen Weg, als jetzt darüber zu sprechen, das Land, das uns zusammengeführt hat, zu teilen, und zwar auf wahrhaft demokratische Weise, mit gleichen Rechten für jeden Bürger. Es kann keine Versöhnung geben, wenn nicht beide Völker, zwei leidende Gemeinschaften, begreifen, dass ihre Existenz eine säkulare Tatsache ist und als solche behandelt werden muss. Das bedeutet nicht, das jüdische Leben als jüdisches Leben zu schmälern oder die palästinensisch-arabischen Bestrebungen und die politische Existenz aufzugeben. Im Gegenteil, es bedeutet Selbstbestimmung für beide Völker. Aber es bedeutet, dass man bereit ist, den Sonderstatus eines Volkes auf Kosten des anderen abzuschwächen, zu verringern und schließlich aufzugeben.
Spätestens seit dem 7.Oktober 2023 ist dieses Modell keine realistische Option mehr, da sich nur noch wenige Bewohner*innen Israels und der besetzten Gebiete ein engeres Zusammenleben vorstellen können. Die Skepsis gegenüber einer Zweistaatenlösung ist allerdings ebenso gross. Kreise, die sich eine postzionistische Zukunft wünschen, stellen mittlerweile die Frage, ob man nicht grundsätzlich nach kreativeren, experimentellen Ansätzen suchen müsste – über nationalstaatliche Traditionen hinaus.
Unter Gazawis stehen staatsrechtliche Fragen momentan allerdings ohnehin nicht zur Debatte: Kurzfristig geht es um das blanke Überleben. Mittelfristig geht es um den Versuch, ein Mindestmaß an politischem Gehör zu finden. Denn in der jetzigen Situation werden Perspektiven aus Gaza sogar von palästinensischen Landsleuten gerne übersehen. Einzig der Hamas gelingt es allenfalls, sich als Vertreterin Gazas auf der internationalen Bühne durchzusetzen.
Im Laufe der jüngsten Geschichte standen unterschiedliche Versionen einer einheitlichen nationalstaatlichen Lösung zur Debatte. Auch anlässlich der Gründung Israels 1947 sind drei grundverschiedene Modelle diskutiert:
- ein einheitlicher demokratischer Staat
- eine binationale Föderation unter britischer Herrschaft
- ein Teilungsplan (die Lösung, die in der UNO eine Mehrheit fand)
Seit der Besetzung des Westjordanlandes durch Israel im Jahr 1967 fällt oft das Argument, dass die zwei Territorien ohnehin ein einziges Gebilde darstellen. Auf politischer wie auch auf wirtschaftlicher Ebene sind sie tatsächlich eng miteinander verflochten – allerdings unter einer israelischen Gesetzgebung, die die jüdische Bevölkerung klar bevorteilt. Im israelischen Mainstream geniesst eine so gestaltete «Einstaatenlösung» zunehmende Popularität – also ein Staatsmodell, das Israelis selbst in denjenigen Gebieten ethnonationalistische Vorteile sichert, die als palästinensisch gelten.