Kufiya
Beitrag
Ein historisches Kleidungsstück
Die Kufiya, im umgangssprachlichen palästinensischen Arabisch als „Hatta” bekannt, ist ein quadratisches Tuch. Es wird in verschiedenen Variationen gefertigt und hauptsächlich als Kopfbedeckung in Südwestasien und Nordafrika getragen. Das Wort Kufiya bedeutet „stammt aus Kufa”, einer Stadt im heutigen Irak, die in Zeiten des Abbasiden-Reich ein wichtiges Textilzentrum war. Die Entstehungsgeschichte dieses Kleidungsstücks ist eng mit dem Bedürfnis nach dem Schutz vor Sonne, Wind, Sand und Kälte verknüpft. Erzählungen zufolge sollen bereits sumerische Fischer ihre Fischernetze als Kopfbedeckung getragen haben, um sich vor der starken Sonne zu schützen. Die Kufiya wird traditionell aus Baumwolle hergestellt und häufig in den Farbkombinationen Schwarz-Weiß oder Rot-Weiß getragen. In ihrer Mitte befindet sich ein kariertes Muster, das Fischernetze symbolisiert, während das Motiv am äußeren Rand Olivenblätter darstellt. Zwischen dem Muster in der Mitte und dem Rand verlaufen gerade Linien, die ursprünglich für Flüsse oder Handelsrouten stehen. Im Laufe der Zeit hat sich die Bedeutung und Lesart der Kufiya verändert.
Von Klassensymbol zum Zeichen internationaler Solidarität
Bis in die 1920er Jahre, als Palästina Teil des Osmanischen Reiches war, wurde die Kufiya vor allem von Bauern und Beduinen als Kopfbedeckung getragen. Mit ihr trockneten sich Arbeiter*innen während der harten Pflugarbeit auf den Feldern den Schweiß, im Winter schützte sie vor Kälte. Gleichzeitig kennzeichnete die Kufiya ihre soziale Klasse: Die städtische Mittel- und Oberschicht, die Effendiya, grenzte sich von den unteren Schichten ab, indem sie den osmanischen Fez trug, auch Tarbusch genannt.
Während des Arabischen Aufstands in Palästina von 1936 bis 1939, der sich gegen die britische Besatzung der Region und deren Unterstützung der zionistischen Kolonisierung richtete, entwickelte sich die Kufiya zu einem textilen Symbol des palästinensischen Widerstands. Während dieser Zeit implementierte die britische Mandatsmacht den Plan zur Einführung eines Identifizierungssystems an den Checkpoints und forderte alle männlichen Bewohner auf, sich fotografieren zu lassen und dabei ihre Kopfbedeckung abzunehmen. Diese polizeiliche Maßnahme wurde allgemein als Demütigung empfunden und führte zu einem Akt des Widerstands, indem die Männer ihre Kufiyas stattdessen um den Hals legten.
Nachdem palästinensische Widerstandskämpfer durch eine groß angelegte Offensive gegen die britischen Streitkräfte die Kontrolle über mehrere arabischer Stadtzentren übernommen hatten, forderte das Aufstandskomitee im Sommer 1938 alle Einwohner*innen Palästinas dazu auf, die Kufiya zu tragen, um die Identifizierung und Verhaftung der Revolutionär*innen durch die Kolonialmacht zu erschweren. Dieser Aufruf wurde von der städtischen Bevölkerung, die bis dahin den türkischen Fez bevorzugt hatte, begeistert aufgenommen. Zu dieser Zeit änderte sich die gesellschaftliche Bedeutung der Kufiya. Sie wurde fortan nicht nur von palästinensischen Beduin*innen oder Nomad*innen, sondern auch von Dorf- und Stadtbewohner*innen getragen, was eine symbolische Umkehrung der sozialen Hierarchie darstellte.
In den 1960er- und 1970er-Jahren brachte die palästinensische Widerstandsbewegung die Kufiya als Symbol des nationalen Kampfes und der Einheit zurück, wobei sie an den Aufstand von 1936 bis 1939 und dessen bäuerliche Wurzeln erinnern wollte. So trug Jassir Arafat, der Vorsitzende der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), die Kufiya vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen auf ikonische Weise, indem er sie wie die Landkarte Palästinas drapierte. Die Flugzeugentführerin Leila Khaled transformierte die Kufiya zum Kopftuch, brach damit Geschlechterklischees und popularisierte sie als Symbol eines kämpferischen Feminismus. Nach dem Krieg von 1967 und der Besetzung des Westjordanlands begannen Aktivist*innen weltweit, die Kufiya im Alltag und bei Demonstrationen zu tragen, als Zeichen der Solidarität mit der palästinensischen Widerstandsbewegung.

Die (Anti-) Deutsche Beziehung zur Kufiya
In deutschen Medien wird die Kufiya, wie viele andere Symbole, die für die Solidarität mit der Befreiungsbewegung der Palästinenser*innen stehen, oft abwertend und stigmatisierend dargestellt und bewertet. Sie wird häufig als „Pali” oder „Problemtuch”1 bezeichnet, und die Qualität ihres Materials in Frage gestellt. So empfahl etwa die Zeitung „Die Welt” in einem Artikel ihren Leser*innen, bei Reisen in die Golfstaaten lieber die Ghutra als Souvenir zu kaufen: „Im Gegensatz zu ihrem politisch aufgeladenen Bruder (der Kufiya) ist die Ghutra feiner und mit einem dünneren Faden gewebt.”2
In der deutschen Presse und auf Plattformen wie Wikipedia werden häufig Narrative der antideutschen Strömung aufgegriffen. Seit Anfang der 2000er Jahre verbreitet die antideutsche Bewegung beispielsweise die Behauptung, es habe einen Befehl des Muftis el-Husseini gegeben, die Kufiya als antisemitisches Symbol zu tragen, und dass Personen, die sich weiterhin „westlich und modern“ kleideten, ermordet oder gefoltert würden3. Die Kufiya wird seither von Antideutschen als islamistisches, homophobes und sexistisches Zeichen gegen die westliche Moderne und Israel dargestellt.
Die Behauptung, dass das Tragen der Kufiya durch Gewalt und Zwang durchgesetzt wurde und sich gegen die kulturelle Modernität stelle, wird von Gegner*innen dieser Lesart zurückgewiesen. Die dekolonialen Bewegungen verweisen darauf, dass diese Argumentation einem Muster folge, welches koloniale Mächte wiederholt angewendet haben, um unterdrückte Völker als unzivilisiert zu dehumanisieren und ihre Vertreibung sowie Vernichtung zu rechtfertigen.
Anerkennung, Aneignung und Verbot
In den 1980er-Jahren wandelte sich die Kufiya im Westen von einem Symbol der Solidarität mit Palästinenser*innen und des Antiimperialismus zu einem modischen Bekenntnis zu den Werten von Liberalismus und allgemeiner Systemkritik und fand so Eingang in den Mainstream. Die Kufiya wurde zunehmend von Popikonen, wie etwa Kirsten Dunst oder Colin Farrell getragen und entwickelte sich zu einem modischen Accessoire. Bis in die 2000er-Jahre hinein wurde sie weiter kommerzialisiert und entpolitisiert und zeigte sich sowohl in alltäglicher Streetwear als auch in der Haute Couture. Diese kulturelle Aneignung und Verwandlung der Kufiya in ein populäres Modeaccessoire durch verschiedene Marken löste intensive Debatten aus4.
Auch in Palästina selbst fand die Kufiya vermehrt Eingang in Design, Kunsthandwerk und Mode. Dennoch behielt sie hier neben ihren funktionalen Eigenschaften auch ihre politische Bedeutung.
Seit der Unterzeichnung der Osloer Abkommen von 1993 und der Einführung einer Politik des freien Marktes in Palästina begann der Import von Kufiyas, die außerhalb der Region produziert und zu günstigeren Preisen angeboten wurden. So stieg der Wettbewerbsdruck auf palästinensische Weber*innen und Kleinunternehmen, die zudem unter der israelischen Besatzung, den Checkpoints und Straßensperren litten. Dies führte dazu, dass in Palästina derzeit nur noch eine Fabrik Kufiyas herstellt: die Firma Hirbawi, die seit 1961 existiert. Auf ihrer Webseite ist zu lesen: „Für die Welt bleibt die Kufiya ein Symbol der Freiheit. Sie zu tragen, drückt den universellen Wunsch aus, dass alle Menschen in Frieden und Selbstbestimmung leben können.”
Wo sind wir jetzt?
Nach dem 7. Oktober 2023 ist das Tragen der Kufiya im globalen Norden vermehrt mit dem Risiko verbunden, Opfer rassistischer Angriffe, von Polizeigewalt, staatlicher Unterdrückung und Zensur zu werden. So wird auf Social-Media-Plattformen darüber berichtet, dass Menschen aufgrund des Tragens einer Kufiya der Zugang zu öffentlichen Einrichtungen, Veranstaltungen, Bars und Clubs verweigert wurde.
Fußnoten